Recht & Urteil

Neuwertversicherung vs. Zeitwertentschädigung

In der Gebäudeversicherung ist es normaler Standard, eine sogenannte gleitende Neuwertversicherung abzuschließen. Dabei handelt es sich um eine besondere Form der Versicherung, bei der sich die Versicherungssumme und damit die Leistung des Versicherers im Schadenfall den Kostenänderungen im Bauwesen anpasst.

Grundlage dieser an den Baupreisindex gekoppelten Wertentwicklung ist der Wert 1914 in Mark. Dazu wird der aktuelle Wert eines Gebäudes zum Zeitpunkt der Indeckungnahme auf den Wert des Gebäudes im Jahr 1914 zurückgerechnet. Aus diesem Wert kann mit Hilfe des Neuwertfaktors, welcher sich aus dem Baupreisindex und dem Tariflohnindex des Baugewerbes zusammensetzt, der aktuelle Wert ermittelt werden.

Für den Versicherungsnehmer hat diese Indexierung den Vorteil, dass er sich nicht um inflations- und kostensteigerungsbasierte Veränderungen seines versicherten Gebäudewertes kümmern muss, da der Versicherer aufgrund der Indexbindung dies für ihn übernimmt. Anderenfalls liefe der Gebäudeeigentümer binnen weniger Jahre Gefahr, im Schadenfall unterversichert zu sein, also auf einem Teil seines Schadens sitzenzubleiben. Ein weiterer beachtlicher Vorteil dieser Verfahrensweise ist, dass der Versicherer auf die Geltendmachung der Einrede einer Unterversicherung verzichtet, sofern die Versicherungssumme anhand des Wertes 1914 einmal zutreffend ermittelt wurde.
 

Im Schadenfall noch unvorhergesehene Tücken

Aber auch beim Abschluss einer gleitenden Neuwertversicherung lauern im Schadenfall noch unvorhergesehene Tücken für den Versicherungsnehmer, wie sich aus einem jüngst vom Bundesgerichtshof (BGH) entschiedenen Rechtsstreit entnehmen lässt (Az IV 148/10). In dem entschiedenen Fall wurde das über eine gleitende Neuwertversicherung bei der beklagten Versicherungsgesellschaft versicherte Gebäude der Klägerin durch einen Brand vollständig zerstört. Der daraufhin von der Versicherung eingeschaltete Sachverständige ermittelte einen Zeitwertschaden in Höhe von ca. 230 TEUR sowie einen Neuwertschaden von ca. 360 TEUR.

Die Beklagte ersetzte daraufhin zunächst den Zeitwertschaden. Die Klägerin baute das Haus wieder auf und erbrachte dabei selbst sowie mit Hilfe von Angehörigen und Nachbarn wesentliche Leistungen. Nach Fertigstellung ermittelte der Sachverständige der Beklagten Baukosten sowie Aufräumungs- und Abbruchkosten von insgesamt ca. 179 TEUR. Daraufhin lehnte die Beklagte die Zahlung der noch ausstehenden Neuwertspitze ab, da die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass die Wiederherstellungskosten den Zeitwert überstiegen.

Während das erstinstanzliche Landgericht der Klage der Versicherungsnehmerin stattgab, wies das Berufungsgericht die Klage mit der Begründung ab, die Klägerin könne die Neuwertentschädigung nur verlangen, wenn die Wiederaufbaukosten annähernd dem Neuwert entsprächen. Dies sah der BGH jedoch anders und gab der Klägerin grundsätzlich recht.

Der BGH argumentierte dabei anhand der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen VGB 88. Diese enthielten in § 15 Abs. 4 VGB 88 eine sogenannte strenge Wiederaufbauklausel, die zur Entstehung des Anspruchs auf Neuwertentschädigung u.a. eine Sicherstellung zur Verwendung der Entschädigung zur Wiederherstellung der beschädigten Sache verlangt. Anderenfalls bliebe der Anspruch auf Ersatz des Zeitwertschadens beschränkt.

Diese Klausel dient dem BGH zufolge dazu, präventiv Missbrauch zu verhindern und die Versicherungsleistung an den Sachwert zu binden. Keinesfalls kann ihr jedoch aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers entnommen werden, dass lediglich ein Anspruch auf Zeitwertentschädigung entsteht, obgleich die Sache binnen eines Zeitraums von drei Jahren in gleicher Art und Güte wiederbeschafft wurde, wie es die strenge Wiederaufbauklausel fordert. Vielmehr erscheint es aus Sicht des Versicherungsnehmers naheliegend, dass in dem Falle die Neuwertentschädigung auch dann zu zahlen ist, wenn die Kosten der Wiederbeschaffung günstiger sind als der Neuwert und – wie im vorliegenden Fall – sogar den Zeitwert unterschreiten.

Ausschlaggebend aus Sicht des BGH ist letztlich, dass das wieder aufgebaute Gebäude nach Art und Zweckbestimmung der zerstörten Immobilie entspricht. Da das Oberlandesgericht diese Feststellung nicht getroffen hatte, wurde die Sache zur weiteren Feststellung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Diese Entscheidung ist auch für die Halter großer Immobilienbestände von Interesse, denn durch kostengünstiges Bauen kann sich im Hinblick auf die nach Abschluss der Ermittlungen des Sachverständigen festzustellende Neuwertentschädigung ein mögliches Delta zu den tatsächlich erforderlichen Baukosten ergeben, welches gegebenenfalls für Wert steigernde Maßnahmen, etwa im Hinblick auf die bessere Vermietbarkeit, genutzt werden kann.