Recht & Urteil

Navigation und Obliegenheiten

Mancher Versicherungsnehmer erlebt im Schadenfall eine böse Überraschung, wenn der Versicherer mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe gegen irgendwelche Obliegenheiten verstoßen, die Entschädigungsleistung kürzt oder gar gänzlich verweigert. So erging es auch der Klägerin in einem kürzlich vom Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe entschiedenen Fall, wo um die Entschädigung für ein aus einem stillgelegten PKW entwendetes Navigationsgerät gestritten wurde (OLG Karlsruhe, Az.: 12 U 196/11).

 

Im Streitfall war ein im Eigentum des Sohnes der Klägerin, die selbst Versicherungsnehmerin war, stillgelegt und auf dem Privatgrundstück der Klägerin abgestellt worden. Dort wurde das Fahrzeug aufgebrochen und das Navigationsgerät entwendet. Sie begehrte daraufhin Ersatz der anfallenden Kosten in Höhe von ca. 5.000 € für den Ersatz des Gerätes und die sonstigen Reparaturkosten von der Kaskoversicherung des PKW.

Der beklagte Versicherer verweigerte jedoch die Regulierung mit der Begründung, das Vertragsverhältnis sei mit Stilllegung des Fahrzeugs abgerechnet worden. Da kein Antrag auf Ruheversicherung gestellt worden sei, sei der Versicherungsvertrag beendet worden. Selbst wenn das Vertragsverhältnis in Gestalt einer Ruheversicherung fortgedauert habe, sei die Beklagte leistungsfrei, da dann die Klägerin gegen ihre vertraglichen Obliegenheiten verstoßen habe, wonach sie das Fahrzeug auf einem umfriedeten Abstellplatz hätte abstellen müssen.

Das erstinstanzlich angerufene Landgericht vertrat zwar die Auffassung, dass Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien sei mit der Stilllegung des PKW nicht beendet, sondern automatisch in eine Ruheversicherung umgewandelt worden. Letztlich wies es die Klage jedoch ab mit der Begründung, die Klägerin habe ihre vertragliche Obliegenheit, das Kfz auf einem umfriedeten Abstellplatz abzustellen, zumindest grob fahrlässig verletzt mit der Rechtsfolge der Leistungsfreiheit des Versicherers.

Dieser Lesart wollte sich das in zweiter Instanz angerufene OLG nicht anschließen. Es argumentierte damit, dass auch in dem Fall, dass die Allgemeinen Kraftfahrtbedingungen (AKB) der Beklagten wirksamer Vertragsbestandteil geworden seien, die Beklagte dennoch zur Regulierung verpflichtet sei, weil es zum einen an einem ein Leistungskürzungsrecht des Versicherers begründenden schweren Verschulden der Klägerin gefehlt habe und zum anderen der Verstoß gegen die Verpflichtung, dass Fahrzeug auf einem umfriedeten Grundstück abzustellen, letztlich nicht kausal für den Schadeneintritt gewesen sei.

Ein "umfriedeter" Stellplatz

In diesem Zusammenhang bezweifelte das OLG bereits, dass das Abstellen des Fahrzeugs auf dem Hof der Klägerin überhaupt eine Obliegenheitsverletzung darstellte, da der Wortlaut der AKB keinen „verschlossenen“ sondern einen „umfriedeten“ Stellplatz verlangte. Der Senat stellte in diesem Zusammenhang darauf ab, mit der Klausel solle nicht nur eine psychologische Sperre eines möglichen Täters gefordert werden, sondern der Zugang zum Fahrzeug solle (auch) durch ein körperliches Hindernis erschwert werden. Allerdings lasse sich der Klausel nicht entnehmen, dass Dritte sich nur unter großem Aufwand darüber hinwegsetzen können sollten. Ausreichend seien auch unverschlossene Türen und Tore sowie auch niedrige Einfriedungen. Da der PKW zur nächtlichen Tatzeit auch von anderen Fahrzeugen „zugeparkt“ gewesen sei, sei ein Zustand geschaffen worden, der jedenfalls vor der Entwendung des gesamten Fahrzeugs geschützt habe. Damit konnte die Klägerin ohne grobes Verschulden von der Einhaltung des geforderten Sicherheitsstandards ausgehen.

Darüber hinaus konstatierte das OLG, die von der Beklagten behauptete Obliegenheitsverletzung sei für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht kausal gewesen, da der Versicherungsfall auch bei Erfüllung der Obliegenheit eingetreten wäre gemäß § 28 Abs. 3 VVG. Es begründet diese Einschätzung damit, dass selbst in dem Fall, dass das Grundstück der Klägerin mit einem im Sinne der Obliegenheit ausreichenden halbhohen Zaun umfriedet gewesen wäre, dies die gemäß der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft professionell agierenden Täter nicht von der Entwendung des Navigationsgerätes abgehalten hätte.

Interessant ist über die hier streitgegenständliche Auslegung der Obliegenheiten im Rahmen der Kaskoversicherung hinaus die erfreuliche Klarheit, mit der das OLG die Bestimmung des § 28 Abs. 3 VVG, der zufolge sich im Schadenfall der Versicherer nicht auf die Verletzung der Obliegenheit berufen darf sondern dessen ungeachtet zur Leistung verpflichtet ist, wenn die Verletzung nicht kausal für den Schadeneintritt war, angewandt hat. Diese Konsequenz gilt natürlich auch für sämtliche anderen Versicherungssparten.

Diese Konsequenz gilt natürlich auch für alle anderen Versicherungssparten

Gerade in jüngster Zeit ist vermehrt zu beobachten, dass Versicherer immer kleinlicher regulieren, und jedweden Aufhänger nutzen, um sich womöglich ganz aus der Regulierung herauszuwinden. Hier ist es für den Versicherungsnehmer unabdingbar, einen starken Partner an seiner Seite zu haben, der dem Versicherer auf „Augenhöhe“ begegnet und in der Lage ist, auch das „Kleingedruckte“ im Versicherungsvertrag zu Gunsten seines Klienten sowohl zu lesen als auch - wenn möglich - schon im Vorwege günstig zu gestalten, auf dass Schlupflöcher nach Möglichkeit vermieden werden.