Leitungswasserschäden

FORUM LEITUNGSWASSER 5 - Desinfektionsmaßnahmen können Rohrmaterial schädigen

Leitungswasserschäden vermeiden, Mieterzufriedenheit erhöhen. Das sind die Leitthemen des FORUM LEITUNGSWASSER der AVW Unternehmensgruppe. Am 9. Mai 2019 fand bereits der 5. Workshop der Initiative statt. Technische Entscheider der Wohnungswirtschaft trafen sich mit den führenden Experten der Schadenprävention. In konstruktiver Stimmung diskutierten sie dieses Mal vor allem über die Gefährdungsbeurteilung und Risikoanalyse zur Prophylaxe von Leitungswasserschäden.

Im Interview spricht der AVW Schadenberater Stefan Schenzel mit Dr. Georg Scholzen, Präventionsexperte für Leitungswasserschäden, über Vorteile und auch Risiken der Gefährdungsbeurteilung von Rohrsystemen.

Stefan Schenzel: Herr Dr. Scholzen, in unserem FORUM LEITUNGSWASSER erarbeiten wir gemeinsam mit Ihnen und den technischen Entscheidern der Wohnungsunternehmen Möglichkeiten, Leitungswasserschäden vorzubeugen. Im letzten Workshop im Mai haben wir uns das Thema Gefährdungsbeurteilung und Risikoanalyse als Präventionsmaßnahme näher angesehen. Können Sie mit wenigen Worten skizzieren, was darunter zu verstehen ist?

Dr. Georg Scholzen: Eine Gefährdungsbeurteilung der Trinkwasser-Installation (TWI) beschreibt kurz gesagt eine systematische Ermittlung und Bewertung aller relevanten Schwachpunkte und Mängel, die zu hygienischen Risiken für das Trinkwasser führen können. Aus dieser Bewertung werden die erforderlichen Maßnahmen abgeleitet, die dem Schutz und der Sicherheit in erster Linie des Trinkwassers dienen. Gleichzeitig sind aber die Mängel, die die Trinkwasserqualität beeinträchtigen können, auch für die Erhöhung von Korrosionsrisiken bzw. Schäden an den Rohrleitungssystemen verantwortlich. Daher dient eine Gefährdungsbeurteilung auch dem Ziel, Leitungswasserschäden vorzubeugen und damit den Gebäudezustand zu erhalten und zu schützen. Das Ziel besteht also darin, Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und diesen präventiv entgegenzuwirken.

Dafür erfolgt eine Prüfung gemäß dem sogenannten Arbeitsblatt W 551 des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW). Dieses Arbeitsblatt beschreibt die nötigen Maßnahmen für einen hygienisch sicheren Betrieb von Trinkwasser-Installationen. Zur Prüfung gehört auch eine Ortsbesichtigung. Dabei wird zunächst die Einhaltung der allgemein anerkannten Regeln der Technik geprüft. Das gleiche gilt für wichtige Betriebsparameter, wie zum Beispiel die Temperatur. Stagnationsbedingungen müssen unbedingt vermieden werden, es werden notwendige Abhilfemaßnahmen ermittelt und eine zeitliche Priorisierung aufgestellt. Ein dauerhafter Sanierungserfolg bei einem bedenklichen Befund ist in der Regel nur in Kombination mit bautechnischen Maßnahmen zu erwarten.

Welchen Nutzen hat das Wohnungsunternehmen konkret durch die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung?

Dr. Georg Scholzen: Die Trinkwasseranlagen werden durch eine Gefährdungsbeurteilung deutlich besser gewartet. Außerdem unterstützt die Wohnungswirtschaft so natürlich den sanitären Hygienefahrplan. Oftmals werden bei Überschreiten des technischen Maßnahmewertes von 100 koloniebildenden Einheiten (KBE) Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt, in der Hoffnung, damit der Ursache entschlossen entgegenzutreten. Dies ist leider ein Irrtum und kann fatale Folgen nach sich ziehen. 

Mit welchen Folgen muss gerechnet werden?

Dr. Georg Scholzen: Die vermehrte Desinfektion mit Chemikalien oder durch zu hohe Temperaturen kann die Nutzungsdauer der Anlage vermindern und zusätzliche Korrosionsschäden verursachen. Grundsätzlich muss also davon ausgegangen werden, dass durch den regelmäßigen Einsatz von Desinfektionsmaßnahmen die Langlebigkeit der Rohrmaterialien beeinträchtigt wird. Außerdem verändert sich mit der Desinfektion die Artenzusammensetzung des Biofilms. Es leben ja nicht nur Legionellen im Wasser sondern eine Vielzahl von Organsimen, die eine Lebensgemeinschaft im Biofilm bilden. Diese halten sich in der Regel gegenseitig unter Kontrolle. Genauso wie unsere Bakterien im Darm. Erst, wenn eine Art sich explosionsartig vermehren kann, werden wir z.B. krank. Dann wirkt Antibiotika wie eine „Desinfektion“ mit den bekannten unerwünschten Folgeerscheinungen. Was für Nachteile z.B. Antibiotika bewirken, kennt jeder, der diese Medikamente schon einmal bei einem Bakterienbefall nehmen musste. Wichtig ist daher die Ursachenbekämpfung und dies trifft genauso in der TWI zu. Desinfektionsmaßnahmen in der TWI machen erst Sinn, wenn die Fehlerquellen erkannt und behoben sind. Sollte sich dadurch der Legionellenbefall nicht schon wesentlich reduziert haben, indem z.B. nach den bautechnischen Maßnahmen regelmäßig gespült wurde, können Desinfektionsmaßnahmen notwendig sein.

Das heißt, die Desinfektion mit hohen Temperaturen oder Chemikalien ist sogar eher schädlich als hilfreich?

Dr. Georg Scholzen: Tatsächlich ist es so: Kommt es zu einem erhöhten Befall von schadhaften Bakterien, wie z.B durch Legionellen, und es werden nur Desinfektionsmaßnahmen durchgeführt, haben wir mehrere negative Effekte. 

Erstens: Die reine Desinfektion behebt nicht die Schadenursache. D.h. der Befall wird sich immer wieder neu einstellen und es wird immer wieder desinfiziert werden, wenn die Konzentration an Desinfektionsmittel abnimmt.

Zweitens: Mit der zunehmenden Desinfektion steigt das Korrosionsrisiko in der TWI. Jede Desinfektionsmaßnahme, egal ob durch Chemikalien oder erhöhten Temperaturen, wird die TWI schwächen. Desinfektionschemikalien sind in der Regel Oxidationsmittel und greifen damit jedes Material in der TWI an. In der Regel sind die Materialien für einen Normalbetrieb ausgelegt. Zu hohe Temperaturen oder Desinfektionschemikalien gehören nicht zu einem Normalbetrieb der TWI. Und mit diesen Parameteränderungen greife ich in das ausbalancierte technische System der TWI ein – mit negativen Auswirkungen auf die Nutzungsdauer.

Welche Alternativen gibt es denn, um das Trinkwassersystem zum Beispiel vor Legionellenbefall zu schützen?

Dr. Scholzen: Eine ganze Reihe an Maßnahmen können den hygienisch sicheren Betrieb unterstützen. Das geht schon bei der Anlage des Systems los: Lange, weit verzweigte Warmwassersysteme, überdimensionierte Warmwasserspeicher und sogenannte Toträume sollten grundsätzlich vermieden werden. Besser ist eine dezentrale Trinkwassererwärmung, zum Beispiel durch Durchlauferhitzer an weit entfernten oder selten benutzten Entnahmestellen. Unnötige Wasseranschlüsse oder stehende Leitungsabschnitte sollten vermieden werden. Kaltwasserleitungen sind genauso zu isolieren wie die Warmwasserleitungen, um eine Erwärmung und damit eine Verbesserung der Lebensbedingungen für Legionellen in eben diesen zu verhindern.

Im Grunde gelten die Grundregeln für Betrieb und Instandhaltung von Trinkwasserinstallationen in Gebäuden und analogen Einrichtungen. Das bedeutet: Das Trinkwasser muss geschützt werden. Es darf zum Beispiel keine unmittelbare Verbindung zwischen Nicht-Trinkwasser und Trinkwasser-Installationen geben. Die Instandhaltung muss regelmäßig und darf nur durch Fachleute erfolgen. Ändert sich die Nutzungsweise der Anlage, so muss diese in der Form angepasst werden, dass ein bestimmungsgemäßer Betrieb gewährleistet ist – im Zweifel auch durch Baumaßnahmen. Außerdem gilt natürlich: Wasser muss fließen. Das bedeutet: Betriebsunterbrechungen, zum Beispiel durch einen saisonalen Betrieb, müssen berücksichtigt und die TWI-Anlage entsprechend gewartet werden, da es sonst zu einer bedenklichen Stagnation kommen kann. Gegebenenfalls müssen Zapfprogramme aufgestellt werden, um Stillstandsbedingungen zu vermeiden.

Wer all diese Punkte beachtet, wird in der Regel keine Desinfektionsmaßnahme durchführen lassen müssen.

 

Stefan Schenzel: Vielen Dank für das interessante Interview, Dr. Scholzen.